KALEIDOSKOP WORTWECHSEL
Wortwechsel

„Für zehn Euro zum Casinobesuch nach Tschechien“

Immer mehr Menschen haben Probleme mit übermäßigem Glücksspiel. Hinzu kommen zahlreiche Angehörige, die mitbetroffen sind. Und der Glücksspielkonsum beschränkt sich längst nicht mehr auf Spielhallen: Seit der Corona-Pandemie boomen Online-Angebote. Wie ist es um die Situation in Bayern bestellt? Was hilft gegen die Sucht? Bei einem Gespräch mit unserer Fraktion haben Vertreter der Landesstelle Glücksspielsucht in Bayern berichtet, vor welchen Herausforderungen Betroffene und Helfer täglich stehen.

Was ist Spielsucht …

Martin Scharf: Meine Abgeordnetenkollegen und ich sind alle auf dem einen oder anderen Weg schon mit Glücksspiel in Berührung gekommen. Wolfgang Hauber in seinem Beruf als Polizist, Felix Locke als genauer Beobachter der Gamingszene und ich, weil ich nahe der tschechischen Grenze wohne, wo viele Casinos angesiedelt sind.

Dirk Scherberger: Allgemein gilt: Glücksspiel wird sichtbarer. Die Folge ist eine deutliche Zunahme an Süchtigen; dadurch erweitert sich auch der Kreis der mittelbar oder unmittelbar von den Suchtauswirkungen Betroffenen. Zu diesen Auswirkungen zählt zum Beispiel Unzuverlässigkeit: Wer süchtig ist, auf den ist im Alltag kein Verlass, weil die Sucht alles Handeln bestimmt. Deswegen sind Selbsthilfegruppen für Spieler genauso wichtig wie Angebote für Angehörige. Und der Betroffenenbeirat Bayern, der die Sichtweise und Bedürfnisse von Menschen mit Glücksspielproblemen gegenüber dem Hilfesystem, der Politik und der Öffentlichkeit vertritt.

Willi Sirrenberg: Ich selbst bin 2013 glücksspielsüchtig geworden, bin aber seit 2016 erfolgreich therapiert. Seit 2017 bin ich Leiter einer Selbsthilfegruppe und stelle fest, dass immer mehr junge Menschen wegen ihrer Sportwetten- und Internetspielsucht zu uns kommen. Gerade das Engagement in Sportwetten hat massiv zugenommen – eine sehr besorgniserregende Entwicklung.

Konrad Landgraf: Ich bin von Beruf Diplom-Sozialpädagoge und seit 2012 in der Landesstelle als Geschäftsführer beschäftigt und beobachte ebenfalls, dass sich die Klientel verändert. 2018 waren Geldspielautomaten mit rund 78 Prozent die hauptsächliche Spielform; gegenwärtig machen sie noch etwa 46 Prozent aus. Stark zugenommen hat hingegen das Online-Glücksspiel: 2018 lag der Anteil bei rund 15 Prozent, inzwischen sind es fast 46 Prozent.

… und wer sind die Betroffenen?

Wolfgang Hauber: Wie viele Menschen haben denn mit Glücksspielproblemen zu kämpfen?

Konrad Landgraf: In Bayern sind es zirka 200.000 Personen, aber es ist nicht leicht, diese Menschen mit Beratungsangeboten zu erreichen. Das liegt zum einen daran, dass die Glücksspielsucht erst seit 2001 als Krankheit anerkannt ist. Und zum anderen handelt es sich um eine Sucht, die lange von den Betroffenen verheimlicht werden kann. Erforderlich ist deshalb umfassende Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit.

Felix Locke: Aber es gibt ja bereits Maßnahmen …

Konrad Landgraf: Ja, das stimmt. Seit 2016 gibt es eine App für Menschen mit Glücksspielproblemen und Bayern ist Vorreiter bei Online-Streetwork. Zudem hat das Bayerische Gesundheits­ministerium ein einschlägiges Kinderbuch mit passenden Unterrichtsmaterialen und Hörbuch finanziert – kostenlos verfügbar für alle, die interessiert oder betroffen sind.

Martin Scharf: Wie bewerten Sie denn die derzeitige Gesetzeslage?

Konrad Landgraf: Die Novellierung der SpielV‘ ist grundsätzlich positiv zu sehen, da die Geräte dadurch für den Nutzer ‚langweiliger‘ wurden. Allerdings ist der Spielerschutz in der Gastronomie ein großes Problem: Über 60 Prozent der Gaststätten mit Geldspielgeräten führen keine Alterskontrolle durch, das funktioniert in Spielhallen besser. Zudem werden in Bayern keine Vergnügungssteuern auf Automaten erhoben – deshalb weiß niemand, wo überall Geräte stehen. Ein weiteres Problem: Die Spielersperre lässt sich in der Gastronomie nur schwer umsetzen. Deshalb sprechen wir uns dafür aus, Geldspielgeräte aus der Gastronomie zu entfernen.

Was wird gegen Spielsucht getan?

Martin Scharf: Wie funktioniert denn die Spielersperre?

Konrad Landgraf: In Deutschland existiert seit 2021 das Spieler­sperrsystem OASIS als zentrale, länder- und spieleformüber­greifende Maßnahme des Spielerschutzes. Es unterbindet bei gesperrten Personen die weitere Teilnahme an Glücksspielen – entweder auf eigenen Antrag oder auf Antrag eines Dritten. Die Sperrdauer besteht ein Jahr, bevor ein Antrag auf Entsperrung gestellt werden kann. Bei einer Selbstsperre beträgt der Sperrzeitraum mindestens drei Monate – und kann auf die ganze Lebenszeit ausgedehnt werden.

Felix Locke: Welche Erfahrungen haben Sie mit der Spielersperre gemacht?

Konrad Landgraf: Die Spielersperre ist eines der wichtigsten Spielerschutzelemente des Glückspielstaatsvertrags 2021. Allerdings kommt die Spielersperre auch rasch an ihre Grenzen: Sie greift nicht bei Lotterien, wird teilweise schlecht kontrolliert und kommt, verständlicherweise, nur bei legalen Anbietern zum Einsatz.

Wolfgang Hauber: Bei der Europameisterschaft hat der Sportwettenanbieter Betano intensiv geworben. Halten Sie das für richtig?

Konrad Landgraf: Nein, diese Entwicklung ist hochproblematisch. Es ist noch gar nicht lange her, da hat Betano in Deutschland illegales Glücksspiel angeboten, und jetzt sponsern sie einen Wettbewerb der UEFA. Wir würden deshalb eine Angleichung an die Karenzzeit-Regelung für jugendgefährdende Werbeinhalte befürworten, sodass Sportwettenwerbung erst ab 21 Uhr ausgestrahlt werden darf. Besser wäre es sogar erst ab 23 Uhr.

Was kann die Politik unternehmen?

Martin Scharf: Was wünschen Sie sich außerdem von der Politik?

Konrad Landgraf: In vielen Bundesländern haben Spielautomatenbetreiber eine Vergnügungssteuer in Form einer kommunalen Abgabe zu entrichten. Das sollte Bayern auch einführen – allein schon, um sich einen Überblick über das Spielautomatennetz im Freistaat zu verschaffen.

Dirk Scherberger: Außerdem wäre es schön, wenn der Gesetzgeber Glücksspiel-Busreisen, etwa nach Tschechien, untersagen würde.

Martin Scharf: Allein die Preise für diese Fahrten sind problematisch: Für zehn Euro gibt es nicht nur Essen und Trinken, sondern auch gleich noch die Jetons mit dazu!

Konrad Landgraf: Deshalb wäre es auch gut, OASIS zu einem Nachbarländer-übergreifenden Sperrsystem weiterzuentwickeln, um Länder wie Österreich, Schweiz, Liechtenstein und Tschechien miteinzuschließen. Das würde den Spielerschutz signifikant erhöhen, setzt aber zunächst eine Initiative im Bundesrat voraus.

Dirk Scherberger: Gleichzeitig müssen wir weiter vor der eigenen Haustür kehren. Es ist nicht nachzuvollziehen, warum es in Bayern keine Abstandsregeln von Wettbüros zu Schulen gibt.

Konrad Landgraf: Im Freistaat gibt es hier zwei unterschiedliche Regelungen. Es gibt einen Mindestabstand für Spielhallen, der 250 Meter bis zur nächsten Spielhalle beträgt. Bei Wettvermittlungsstellen hingegen gibt es tatsächlich einen Mindestabstand zu Schulen und Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe sowie Suchtberatungsstellen. Allerdings wurde genau dieser Umstand, also die unterschiedlichen Abstandsregelungen, gerichtlich angegriffen und kommt damit bei Wettvermittlungsstellen aktuell nicht zur Anwendung. Und gerade die verzeichnen einen enormen Zulauf.

Ist Gaming ein Problem?

Felix Locke: Wie steht die Landesstelle denn zum Gaming bei ­Kindern und Jugendlichen? Ist Gaming der Eintritt in die Sucht?

Konrad Landgraf: Gaming ist durchaus ein Problem, auch weil selbst exzessiver Konsum im Klassifikationssystem für medizinische Diagnosen bislang nicht als Krankheit erfasst ist. Auch der Gesetzgeber tut sich schwer, da es bei Glücksspielelementen in Games keine direkten Geldgewinne gibt – die Regelungen zum Glücksspiel greifen hier nicht. Es gibt aber durchaus Länder, die das anders ­sehen: In Belgien sind Lootboxen in Games als Glücksspiel klassifiziert.

Felix Locke: Das fänden wir in Deutschland auch richtig. Schließlich dienen Lootboxen einzig dem Zweck, den Computerspielverlauf zu beschleunigen und sich gegen Geld einen möglichen Spielvorteil zu verschaffen. Unserer Überzeugung nach gehören solche ‚Beuteboxen' eindeutig zum Glücksspiel. Deshalb haben wir bereits in der letzten Legislaturperiode auf Bundesebene eine Initiative zum Verbot dieser Boxen gestartet.

Willi Sirrenberg: Es zeichnet sich auch schon das nächste Problem ab: Wer gerne zockt, für den ist der Weg zur Börsenspekulation nicht weit. Das müssen wir im Auge behalten, da Investitionen in Aktien zwar wie der Einsatz am Roulettetisch verloren gehen können, Aktienspekulation aber nicht als Glücksspiel gilt.

Konrad Landgraf: Wir halten deshalb für die Zukunft folgende Maßnahmen für besonders wichtig: den Ausbau der Öffentlichkeitsarbeit, um der massiven Werbung der Industrie etwas entgegenzusetzen, den Ausbau der Beratungsstellen …

Willi Sirrenberg: … und jährliche Präventionsveranstaltungen an Schulen – so wie es zur Prävention von Alkohol- und Drogenmissbrauch bereits gelebte Praxis ist. Hier ist besonders die Präventionsarbeit im Landshuter Netzwerk hervorzuheben.

Martin Scharf: Wir bedanken uns für dieses Gespräch!

Unser Bild zeigt von links nach rechts: Martin Scharf, rechtspolitischer ­Fraktionssprecher, Felix Locke, Parlamentarischer Geschäftsführer,
Konrad Landgraf, ­Geschäftsführer der Geschäftsstelle der Landesstelle Glücksspielsucht in Bayern, Dirk Scherberger vom Bündnis gegen Sportwetten-Werbung und Willi Sirrenberg vom Betroffenenbeirat Bayern „Stimme der SpielerInnen“.

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