1. Herr Streibl, die FREIE WÄHLER-Fraktion will die Beteiligungsmöglichkeiten von Bürgerinnen und Bürgern ausbauen – warum?
Der oberste Sinn der Politik ist Freiheit. Nach dieser Prämisse müssen wir unser Regierungshandeln wieder stärker ausrichten. Denn wir sehen ja, dass Überregulierung und Bürokratie den Staat ausbremsen und wirtschaftliches Wachstum ersticken. Deshalb wollen wir den Bürgerinnen und Bürgern wieder mehr zutrauen und zumuten – durch die Verschlankung bürokratischer Prozesse, durch mehr Digitalisierung und eben auch durch mehr direkte Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an politischen Entscheidungsprozessen.
2. Will sich der Freistaat aus seiner Verantwortung stehlen?
Natürlich nicht. Es erfordert Mut und eine vorausschauende Politik, bestehende Praktiken kritisch zu hinterfragen und ein neues Steuerungsmodell, das die Rolle des Bürgers stärkt, anzubieten. Mehr Eigenverantwortung bedeutet nicht den kaltschnäuzigen Rückzug des Staates aus der Verantwortung. Im Gegenteil: Es geht um eine aktivierende Politik, die das Ohr nah beim Bürger hat, sich durch Kreativität und Innovationsbereitschaft auszeichnet und alle mitnimmt – schließlich sind wir alle Teil des Freistaats.
3. Wer die direkte Demokratie stärkt, schwächt aber automatisch die repräsentative Demokratie – oder nicht?
Keinesfalls! Die direkte Demokratie hat eher eine Korrektivfunktion und kann die repräsentative Demokratie nie ersetzen. Im Übrigen gibt es nur wenige Fragen, die direktdemokratisch beantwortet werden können. Und bevor es zu einer direktdemokratischen Abstimmung kommt, stellt sich die Frage, welche Dialoge im Vorfeld stattgefunden haben. Wie weit gelingt es, Alternativen aufzuzeigen? Außerdem findet die direkte Demokratie dort ihre Grenzen, wo es um grund- und menschenrechtliche Fragestellungen geht. Minderheitenrechte können nicht durch Mehrheitsentscheidungen übergangen werden, es kann zum Beispiel keine Entscheidungen geben, welche die Religionsfreiheit beeinträchtigen.
4. Sollten Bürgerentscheide mit dialogorientierten Beteiligungsprozessen verbunden werden?
Unbedingt! Die Qualität der Entscheide und des Abstimmungsverfahrens hängen unmittelbar von der Qualität der Dialoge ab, die vor dieser Abstimmung stattgefunden haben. Ist es wirklich gelungen, ein Thema breit gestreut zu diskutieren? Ist es gelungen, unterschiedliche Interessen und Perspektiven einzubeziehen? Ein Paradebeispiel ist das Windparkprojekt in Altötting, das schon fast vor dem Aus stand. Nur durch den offenen Dialog von Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger mit den Bürgern vor Ort gelang es, einen sehr guten, bürgerfreundlichen Kompromiss zu finden.
5. Auch die Rechtspopulisten fordern mehr direkte Demokratie. Wie passt das mit Ihrer Politik-Auffassung zusammen?
Die Rechtspopulisten verfolgen völlig andere Ziele. Es geht ihnen nicht darum, Entscheidungen zu finden, die vor Ort auf möglichst breite Akzeptanz stoßen. Ihnen geht es um das Storytelling „Wir gegen die“. Unter direkter Demokratie verstehen sie einen Volkswillen, der dem Willen der vermeintlichen Eliten – vertreten durch die repräsentative Demokratie – diametral entgegengesetzt ist. Dadurch wird ein Feindbild aufgebaut, das die Spaltung der Gesellschaft befördert. Uns FREIEN WÄHLERN geht es hingegen darum, den Menschen im Freistaat mehr Gehör zu verschaffen, sie mit ihren Ängsten, Wünschen und Bedürfnissen ernst zu nehmen und tragfähige Lösungen bei widerstreitenden Interessen zu finden.